Ein sehr interessanter Bericht von unserem Guzzista und Freund Martin Granwehr. Herzlichen Dank !
Der folgende Text basiert auf einem Artikel der Falcone Post, Sommer 2021. Für Guzzi-Begeisterte findet sich viel Material unter www.falcone-club.de.
Unterschiedlichste Ventiltriebe bei den Einzylindern
Von 1921 bis 1976 baute Guzzi- mit einer kurzen Unterbrechung – Motorräder mit den charakteristischen Motoren mit einem liegenden Zylinder. Im Laufe der Jahre entstanden die unterschiedlichsten Ventiltriebe.
Das erste Serienmotorrad von Moto Guzzi hat einen Motor mit einem liegenden Zylinder und einem hängenden und einem stehenden Ventil. Das heisst, das Auslassventil befindet sich mittig im Zylinderkopf und wird von der unten liegenden Nockenwelle über eine Stösselstange und einen Kipphebel geöffnet. Eine Haarnadelfeder schliesst das Ventil. Das Einlassventil befindet sich neben dem Zylinder und wird in direkter Linie mit einer Stösselstange betätigt. Hier ist eine Druckfeder verbaut. Der Ventiltrieb verläuft offen, bei laufendem Motor kann man die arbeitenden Ventile sehen. Der Kipphebel muss von Zeit zu Zeit manuell geschmiert werden. An dieser Konstruktion hielt Moto-Guzzi sehr lange fest. Von 1921 bis 1940 befeuerten solche Singles die unterschiedlichsten Modelle aus Mandello-Tonzanico, wie der Ort damals noch hiess.
Aber bereits 1923 entstand für den Rennsport das Modell C2V, die Abkürzung steht für Corsa due Valvole. Bei diesem Motorrad hängen beide Ventile im Zylinderkopf und werden von einer unterliegenden Nockenwelle über Stösselstangen und Kipphebel geöffnet. Für das Schliessen der Ventile sind Haarnadelfedern zuständig. Diese bauen nicht so hoch wie übliche Ventilfedern. Zusätzlich verbaute Carlo Guzzi bei manchen Maschinen hier Zugfedern, die fast parallel zu den Stösselstangen verlaufen und helfen, die Kipphebel zu ziehen.
Mit dem neuen Zylinderkopf, einer anderen Nockenwelle und einer von 4:1 auf 5,25:1 erhöhten Verdichtung stieg die Motorleistung gegenüber der Normale von 8 PS bei 3.200 U/min auf stattliche 17 PS bei 4.200 U/min! Zuerst wurde die C2V als Werksrennmaschine gebaut, später dann auch an die normale Kundschaft ausgeliefert.
Den 2V-Motor verwendete Moto Guzzi auch für verschiedene Modelle bis 1939. Das Modell GT 2VT verfügte über Beinschilder und Hinterradfederung. Von diesem Modell wurden nur 167 Exemplare gebaut.
Schon 1924 hatte Carlo Guzzi den nächsten Zylinderkopf für ein weiteres Rennmotorrad entwickelt. Hier griff er auf die Konstruktion der G.P. zurück und versah die C4V mit einer obenliegenden Nockenwelle und vier Ventilen. Für exakte Steuerzeiten sorgt der aufwendige Nockenwellenantrieb mittels Königswelle auf der rechten Motorseite. Die Verdichtung konnte nochmals auf 6:1 angehoben werden, und die Motorleistung stieg auf 22 PS bei nunmehr 5.500 U/min.
Diese Corsa Quattro Valvole war zu ihrer Zeit eine der schnellsten Halbliter-Rennmaschinen auf der Welt. Mit ihr gewann Guido Mentasti 1924 die neu geschaffene Europameisterschaft. Eine Weltmeisterschaft gab es damals noch nicht.
Die C4V war übrigens die erste Moto Guzzi mit einer Vorderradbremse. Aus diesem Modell entstanden als Weiterentwicklungen die V4 TT und die V4 SS. Bis zum Ende der Bauzeit stieg die Motorleistung von 22 auf 32 PS. Insgesamt baute Moto Guzzi 486 Maschinen mit dem Vierventilmotor, von denen einige auch im normalen Strassenverkehr gefahren wurden.
1925 kostete das Strassenmodell Sport 8.750 Lire, die C2V stand mit 9.450 Lire in der Preisliste. Die C4V war mit 12.300 Lire deutlich teurer. Für 1.400 Lire Aufpreis waren die Sport und C2V mit Lichtmaschine, Batterie, Beleuchtung und Hupe erhältlich.
1926 entwarf Guzzi die erste Viertelliter-Maschine für die entsprechende Rennklasse. Auch hier setzte er auf eine obenliegende Nockenwelle mit Königswellenantrieb, gab sich aber mit zwei Ventilen zufrieden.
Zuerst bot die Firma zwei Versionen an: TT und SS. Die SS hat einen Zylinderkopf aus einer speziellen Legierung, Reibdämpfer an der Gabel und einen grösseren Tank mit aufgesetztem Öltank. Die TT kostete 7.900 Lire, für die SS waren 900 Lire mehr zu bezahlen.
Mit diesem 250er-Motor, der erst drei und dann später vier Gänge besass, entstanden verschiedene Sportmaschinen, darunter auch Rekordfahrzeuge mit Kompressor Aufladung.
Die erste Grossserienmaschine mit zwei hängenden Ventilen im Zylinderkopf (OHV) war keine 500er sondern eine Neukonstruktion für die 175er-Klasse, die aufgrund gesetzlicher Vergünstigungen besonders beliebt war. Hier konstruierte Carlo Guzzi einen komplett neuen Ventiltrieb mit untenliegender Nockenwelle, bei der die Nocken dicht nebeneinander in einem Hüllrohr geführt werden. Auch die Kipphebel verbergen sich grösstenteils in einem Gehäuse. Ventile und Ventilfedern (zwei Haarnadelfedern pro Ventil) sind aber noch aussenliegend. Dieser halb offene Ventiltrieb ist besser geschützt und kann zuverlässiger, automatisch geschmiert werden. Damit entfällt das manuelle Schmieren, an welches der Fahrer bis dahin regelmässig denken musste. Die P175 leistet 7 PS bei 4.200 U/min. Die zu der Zeit aktuelle Sport 15 – noch mit wechselgesteuertem Motor – mobilisiert aus 500 Kubikzentimetern «nur» 13,2 PS bei 3.800 U/min und ist zudem etwa 35 Kilogramm schwerer.
Da musste dringend Abhilfe geschaffen werden! Ein Jahr später versah Moto Guzzi die ersten Halblitermaschinen mit dem neuen Ventiltrieb. Es entstanden die Modelle V, GTV, GTW und GTC. Der neue Zylinderkopf hob mit anderen Änderungen die Motorleistung auf 18,9 PS bei 4.300 U/min an – eine Mehrleistung von fast 50%! Die Vorserienmaschinen erreichten auf dem Kurs von Monza 135 km/h, anstelle der 100 km/h der Sport 15. Die Brennraumform ist ähnlich wie bei der C4V, die Ventile stehen in einem Winkel von 60° zueinander.
Als die gesetzlichen Vergünstigungen für die 175er-Klasse wegfielen, erhöhte man den Hubraum auf 238 Kubikzentimeter. So standen 9 PS zur Verfügung. 1939 entstand aus dem Modell die Airone, die immerhin bis 1957 im Programm blieb und während der Bauzeit diverse Verbesserungen erhielt. 1948 erhielt das Modell einen Zylinderkopf mit komplett gekapseltem Ventiltrieb. Zylinder und Kopf waren nicht mehr aus Grauguss, sondern aus Aluminium gegossen.
Ein Jahr später fand der neue Ventiltrieb auch in der Halblitermaschine Verwendung, damit war die Astore geboren. Es folgten die Falcone und die Nuovo Falcone mit ähnlichem Ventiltrieb.
Im Rennsport ging die Entwicklung ebenfalls weiter. 1950 entstand die erste Einzylinder-Guzzi mit zwei obenliegenden Nockenwellen: die 250 Bialbero.
Zuerst probierte man eine Version mit vier Ventilen, aber die Ergebnisse waren nicht befriedigend. So entstand ein Motor mit zwei Ventilen, der ab 1953 zum Einsatz kam. Sie leistete 28 PS bei 8.000 U/min.
Dieser Bialbero-Motor war dann die Grundlage für zwei neue Triebwerke mit 350 und 500 Kubikzentimetern. Gerade die 350er erwies sich als äusserst gelungene Konstruktion und bescherte Moto Guzzi fünf Weltmeistertitel. In der 500er Klasse war die Konkurrenz mit mehrzylindrigen Maschinen zu stark, so dass man sich entschloss, ein V8-Motorrad zu bauen.
Und dann gab es bei Moto Guzzi noch einen Roller mit einem liegenden Zylinder: den Galletto. Dieser Motor war eine komplette Neukonstruktion mit einem gekapselten Ventiltrieb. Während bei den Motorrädern die Stösselstangen auf der rechten Motorseite parallel zueinander verlaufen, befindet sich beim Galletto der Veniltrieb auf der linken Seite und die Stösselstangen bilden ein nach vorne geöffnetes V.
Bei den Motoren mit einem liegenden Zylinder gab es in 55 Jahren diverse Ventiltriebe:
- Wechselgesteuert (EOI, exhaust over inlet)
- Zwei hängende Ventile (OHV) mit offenem Ventiltrieb
- Vier Ventile mit obenliegender Nockenwelle (OHC) und Königswelle
- Zwei Ventile mit obenliegender Nockenwelle und Königswelle
- Zwei Ventile mit Stösselstangen und teilweise gekapseltem Ventiltrieb
- Zwei Ventile mit Stösstelstangen und komplett gekapseltem Ventiltrieb
- Vier Ventile mit zwei obenliegenden Nockenwellen (DOHC) und Königswelle
- Zwei Ventile mit zwei obenliegenden Nockenwellen und Königswelle
- Galletto
Neben all den Serienmaschinen gab es ein paar interessante Prototypen und viele Umbauten aus privater Hand.
Martin Granwehr, Juli 2021
Nochmals herzlichen Dank für diesen informativen Bericht. Webmaster Pepo.
Sehr gut beschrieben ! Ich besitze aber auch noch eine der raren Lodola mit obenliegender Nockenwelle durch Kette angetrieben.